1859 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Kurts, Friedrich, Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
9
daher wurden die Gardes du Corps, Alles junge Leute aus den vornehmsten
Familien, mit Steinwürfen und selbst mit Flintenschüssen ungestraft verfolgt;
denn diese Truppen waren als treue Anhänger des Königs dem Pöbel ver-
haßt. Am späten Abend traf nun auch das Pariser Heer unter La Fayette
ein. Dieser Mann war zwar ein Freund der Freiheit, aber voll Rechtlich-
keit und Ehrliebe. Er suchte jede Gewaltthätigkeit zu hindern, und hatte den
Haufen schwören lassen, dem Könige treu zu bleiben, und vor der Wohnung
desselben Achtung zu haben. Endlich trieb ein starker Regen Alles aus ein-
ander; ein Jeder lagerte sich so gut er konnte, die Straßen wurden still,
und La Fayette gab dem Könige die Versicherung, daß er für die Ordnung
Bürge sein wolle. Aber Orleans, Mirabeau und die andern Verschworenen
hatten sich indessen in Weiberkleidern unter die Soldaten gemischt, und durch
Austheilung von Geld und Branntewein die, welche noch an ihrer Pflicht
hielten, vom Könige abwendig gemacht, und mit Sehnsucht erwarteten die
Bösewichter den Anbruch des folgenden Tages, um ihre Verbrechen auszu-
sühren.
Am 6. October früh um 5 Uhr schlief noch die königliche Familie, als
sich vor dem Schlosse ein fürchterliches Mordgebrüll erhob. Die Mörder
steten über die treuen Gardes du Corps her, hieben mehrere derselben nieder,
und verlangten laut den Kopf der Königin. Ein andrer bewaffneter Haufen
drang indessen durch eine von der Nationalgarde absichtlich unbesetzt gelassene
Hinterthüre in das Schloß ein, und wandte sich, von Mitgliedern der Natio-
nalversammlung, unter denen Orleans und Mirabeau gewesen sein sollen,
geführt, nach dem Schlafzimmer der Königin. Ein Garde du Corps (Mio-
mandre de St. Marie), die Gefahr der erlauchten Frau bemerkend, opferte
sein Leben auf, das ihrige zu retten. Er lief eilend nach der Thüre ihres
Zimmers, und rief durch dieselbe: „Um Gottes Willen! retten Sie sich!
sonst sind Sie verloren!" Sie hatte nur noch Zeit, aus dem Bette zu sprin-
gen, und, in einen Morgenmantel gehüllt, durch eine verborgene Treppe
4iach dem Zimmer des Königs zu entfliehen, als schon die Mörder vor
ihrem Zimmer erschienen, den treuen Garde du Corps ermordeten, die Thüre
aufsprengten, und wüthend auf ihr Bette losstürzten. Als sie es leer fan-
den, stießen sie wilde Flüche aus, und durchbohrten es aus Wuth mit un-
zähligen Stichen. Die Grenadiere der königlichen Garde nahmen nun die
königliche Familie in Schutz, und trieben die Mörder aus den Zimmern.
Aber mit neuer Wuth wandte sich der Pöbel gegen die überall fliehenden
Gardes du Corps. Vorzüglich zeichnete sich ein Mensch von ungeheurer
Länge aus, der mit einem langen Barte, einer hohen Mütze und aufgestreif-
ten blutigen Armen umherging, und das gräßliche Geschäft trieb, den Ermor-
deten, noch ehe sie ganz todt waren, die Köpfe abzuhacken, die dann der
Pöbel auf Stangen steckte und umhertrug. Den Bemühungen La Fahettes
gelang es, einige Gardes du Corps zu retten.
Ludwig selbst begab sich auf einen Balcón, um zu dem untenstehenden
Pöbel zu sprechen. „Gnade für meine Leibgarde!" rief er mit ausgebreiteten
Armen, hinab. — „Hoch lebe der König!" war die Antwort des begeisterten
Haufens, der noch vor einer Stunde ihn ermordet hätte, wenn er in seine
Hände gefallen wäre. Man holte die gefangen gehaltenen Gardes du Corps
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Galeerensklaven, Diebe, Räuber und dgl. nach Paris verschrieben, und nach-
dem sie unter dem Freudengeschrei des Pöbels eingezogen waren, — „die
freien Männer des Südens sind erschienen, um die Freiheit zu beschützen,"
hieß es, — wurde ein Angriff auf die Tuilerien gleich auf den folgenden
Tag beschlossen. Schon am Abende waren die Straßen unruhig; vor den
Tuilerien sammelte sich der Pöbel, der laut rief: „Fort mit dem Vielfraße,
der 25 Millionen verschlingt!"
Am Morgen des 20. Juni setzten sich die Marseiller und der Auswurf
der Bewohner jener beiden Vorstädte in Paris in Bewegung; der Schwarm
wuchs unterwegs durch die Hinzuströmenden immer mehr an, und wandte sich
zunächst nach dem Garten der Tuilerien, wo sich der Saal der National-
versammlung befand. Der Bierbrauer Santerre, ein wüthender Königs-
feind , damals Anführer eines Bataillons von St. Antoine, verlangte vor die
Versammlung gelassen zu werden. Man ließ ihn ein, und er hielt eine
pomphafte Rede voll Unsinn. „Die Stunde hat geschlagen," hieß es darin;
„Blut wird fließen, aber der Baum der Freiheit wird herrlich grünen. Das
französische Volk will sich von den Tyrannen befreien, die sich gegen dasselbe
verschworen haben" u. s. w. Dann wälzte sich die ganze Pöbelmasse unter
dem Schalle von Trommeln und Pfeifen und dem Zujauchzen der Gallerten
durch den Saal. Voran trug ein zerlumpter Kerl auf einer Pike ein Paar
zerrissene Beinkleider; ein Anderer hatte, gleichfalls auf einer Pike, ein blu-
tiges Rinderherz, und darunter eine Tafel mit der Inschrift: „Aristokraten-
herz!" Nun ging der Zug nach dem Schlosse. Hier war man von der Ge-
währ bereits früher unterrichtet worden. Einige Bataillone Nationalgarden
hatten es besetzt, die Thore waren geschlossen und durch Kanonen verwahrt;
im Innern aber hatten die Schweizer die Wache. Sobald die Rotte erschien,
öffnete ein treuloser Stadtbeainter ein Gitterthor, und augenblicklich stürzte
sich die Masse in den Hof, die Treppe hinauf, nach den königlichen Zimmern
' hin, sprengte die Thüre auf, und drang in die Gemächer ein. Es war eben
vier Uhr; Ludwig saß an der Tafel. Er eilte sogleich den Aufrührern ent-
gegen; ihm folgte seine Schwester, die treue Elisabeth. Bei seinem Anblicke
blieben die Vordersten, betroffen von unwillkürlicher Ehrfurcht, bestürzt stehen;
aber die Hintern drängten sich bald vorwärts. Mit wildem Geschrei drangen
die zum Theil trunkenen Menschen auf ihn ein, und überhäuften ihn mit den
gräßlichsten Schmähungen und Verwünschungen. Sie verlangten durchaus,
daß er die Beschlüsse gegen die Priester und Ausgewanderten bestätigen sollte;
er aber verweigerte es aufs Bestimmteste, und setzte ihrer Wuth den größten
Gleichmuth entgegen. Nur 6 Schweizer vertheidigten ihn. Einer derselben
wehrte einen auf den König gerichteten Pikenstoß ab, und rief ihm zu:
„Fürchten Sie sich nicht, Sir!" Da antwortete Ludwig: „Das Gewissen
eines rechtlichen Mannes, der sich keinen Vorwurf zu machen hat, ist ruhig;
lege deine Hand auf mein Herz, und du wirst fühlen, ob ich Furcht habe."
Ein Lumpenkerl reichte ihm seine schmutzige Jakobinermütze, und verlangte, er
solle sie aufsetzen. Ludwig that es, um die Wuth nicht noch mehr durch
Widerstand zu reizen. So hielt er ganzer fünf Stunden den Andrang des
wildesten Pöbels aus, während ein anderer Hausen, der meist aus Frauen
bestand, in das Zimmer der Königin gedrungen war. Die Wüthenden gossen
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Nacht den braven Mandat, der in den Tuilerien Alles zur Vertheidigung
anordnete, aufs Rathhaus. Hier wurde er mit Schmähungen empfangen,
nach dem Gefängniß abgeführt, aber, ehe er noch dasselbe erreichte, von dem
Pöbel ermordet, so daß nun die Vertheidiger der Tuilerien sich selbst über-
lassen blieben. An seine Stelle wurde — Santerre ernannt.
Um 6 Uhr des Morgens am 10. August setzte sich das bewaffnete
Rebellenheer gegen die Tuilerien in Bewegung, zu jeder Schandthat ent-
schlossen. Um 8 Uhr trafen die ersten Haufen vor dem Schlosse ein, und
es erhob sich ein fürchterliches Geschrei. Der König und seine Familie er-
warteten in ruhiger Ergebung den Ausgang der Dinge, während der größte
Theil der Nationalgarden, Schweizer und einige Hundert Edelleute, die dem
Könige zu Hülfe gekommen waren, sich zur Vertheidigung rüsteten. Aber der
gute Ludwig zeigte hier wieder zu wenig Entschlossenheit. Er verbot jeden
Angriff auf den Pöbelhaufen, damit man ihm nicht Schuld gebe, den Anfang
des Blutvergießens gemacht zu haben. Während er noch schwankte, was er
thun sollte, trat Röde rer, eine Magistratsperson, herein, und schilderte
ihm die Gefahr als äußerst dringend. Der Pöbel sei nicht mehr zurückzu-
halten; die Kanoniere verweigerten den Gehorsam, und hätten vor seinen
Augen die Ladung ans den Kanonen gezogen; der König sei in Gefahr, mit
seiner Familie ermordet zu werden, wenn er sich nicht augenblicklich in den
Saal der Nationalversammlung rette. Die Königin widersetzte sich diesem
Ansinnen, weil sie merkte, daß man nur die Absicht habe, ihren Gemahl von
seinen treuen Dienern zu trennen. Da trat Röderer vor sie hin, und sprach
mit funkelnden Augen: „Madame, die Augenblicke sind kostbar. Zaudern
Sie noch eine Minute, noch eine Secunde, so kann ich nicht für das Leben
des Königs, für das Ihrige und das Ihrer Kinder stehen." — „Nun gut!"
rief die Königin, „so müssen wir denn auch noch dies letzte Opfer bringen." —
„Laßt uns gehen!" fügte der König hinzu. Dann wandte er sich zu dem
Haufen seiner Getreuen, und sprach: „Hier, meine Freunde, giebt es nichts
mehr zu thun." Er und die Seinigen gingen, ohne Widerstand zu finden,
erst durch die Reihen der Nationalgarden, dann durch den im Tuilerien-
Garten dicht gedrängt stehenden Pöbel, von Schweizern und Nationalgarden
umgeben, bis vor die Thür des Versammlungssaales. Hier mußten sie
warten, und waren den Beleidigungen der sie umgebenden Menge eine lange
Weile ausgesetzt. „Wir wollen keine Tyrannen mehr!" schrie man von allen
Seiten; „bringt sie um! bringt sie um!" Nach langem, ängstlichem Harren
wurde ihnen die Thüre geöffnet.
„Meine Herren!" redete der König die Versammlung an, „ich komme
hierher, um Frankreich ein großes Verbrechen zu ersparen. Ich habe geglaubt,
daß ich nirgends sicherer sein könnte, als unter den Stellvertretern der
Nation." Er hatte sich auf einen Stuhl neben den Präsidenten gesetzt; aber
als ein Mitglied bemerkte, daß die Versammlung nicht in Gegenwart des
Königs berathschlagen könnte, erhob sich ein wildes Geschrei: „Vor die
Schranken! aus die Bank der Minister!" Ludwig gehorchte; aber auch hier
duldete man ihn nicht, und verwies ihn in die mit einem Gitter versehene
Loge eines Zeitungsschreibers. Hier wurde er mit seiner Familie verwahrt,
und mußte mit anhören, wie die Versammlung über seine Absetzung und die
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herrschen zu können. Der König wußte recht gut, daß dieser Tumult am 5.
October stattfinden sollte. Man redete ihm zu, eilig nach Metz zu entfliehen,
und dort sich an die Spitze der Truppen zu stellen; aber er war nicht zu
bewegen, von seinem Posten zu weichen. Orleans hatte an den ausgestreuten
Verleumdungen nicht genug; er ließ durch seine Leute die nach Paris fah-
renden Kornwagen aufhalten, und als nun Brotmangel in der Stadt ent-
stand, sprengte er aus, der König wolle Paris aushungern. Schon am 4.
October wurden in Paris Geld und Waffen ausgetheilt. Volksredner und
Rednerinnen hielten im Garten des Palais Royal von Tischen herab Reden
an das Volk, und forderten es auf, am folgenden Tage nach Versailles zu
ziehen, um den König und die Königin zu fragen, woher der Brotmangel
entstanden sei.
Als der 5. October (1789) anbrach, war ganz Paris in unruhiger
Bewegung. Männer in Frauenskleidern und betrunkene Weiber, unter denen
sich die Fischweiber (die sogenannten Damen der Halle) auszeichneten, zogen
schreiend durch die Straßen, und rissen Alle, die ihnen begegneten, mit sich.
Die Sturmglocken läuteten, die Trommeln wirbelten. Alles strömte nach
dem Greveplatze, auf welchem das Stadthaus steht, und schrie laut nach
Brot. Die Nationalgarde, die Ordnung hätte stiften sollen, weigerte sich,
die Waffen gegen den tobenden Haufen zu gebrauchen. Einige stürmten das
Stadthaus, drohten den ganzen Bürgerrath an die Laternen zu hängen, und
plünderten die Cassen und Waffenmagazine. Endlich stellte sich Maillard,
ein Kerl in einem abgeschabten schwarzen Kleide, der schon bei der Erstür-
mung der Bastille voran gewesen war, an die Spitze des Haufens, und
führte ihn nach Versailles ab. — Gleich darauf füllte sich der Greveplatz
aufs Neue. Die französische Garde, die längst von Orleans und Mirabeau
dem Könige untreu gemacht worden war, marschirte auf. Nationalgardisten,
Pöbel, Weiber, Meuchelmörder, Leute von jedem Schlage drängten sich da-
zwischen, Alle erfüllt vom Durste nach Mordthaten, wenigstens nach Gewalt-
thätigkeiten. Mehr als 40,000 Menschen schrieen: „Nach Versailles! nach
Versailles!" Der Marquis de la Fayette, derselbe, der an dem ameri-
kanischen Freiheitskriege so thätig Antheil genommen hatte, jetzt Befehlshaber
der Nationalgarde, sollte sie führen. Lange weigerte er sich, und machte
ihnen Vorstellungen; endlich setzten die Garden ihm die Bajonette auf die
Brust, wenn er sich nicht augenblicklich an ihre Spitze stellte. Er mußte
gehorchen, und um 5 Uhr Abends brach auch dieser Haufen, trotz eines hef-
tigen Regenschauers, mit 22 Kanonen unter wildem Freudengeschrei nach
Versailles auf.
Der König war auf diesen Besuch so wenig vorbereitet, daß er sich
auf der Jagd befand, von der er eilig zurückgerufen wurde, als um Mittag
die erste Nachricht vom Anzuge der Weiber nach Versailles kam. Um vier
Uhr stürzten diese nach dem Saale der Nationalversammlung. Maillard
und 12 Weiber wurden eingelassen, und schrieen laut nach Brot. Die Ver-
sammlung suchte sie zu beruhigen, und der Präsident führte sie zum Könige
ins Schloß. Dieser gab ihnen die besten Versprechungen; ja, er umarmte
sogar eines der Weiber, weil sie ihm sonst nicht glauben wollten. Den
Soldaten hatte Ludwig ausdrücklich jeden Gebrauch der Waffen verboten;
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raffte das gelbe Fieber die Franzosen schaarenweise hin, und sie mußten 1803
froh fein, daß Deffaliñes dem Ueberreste den Abzug gewährte.
106. Hinrichtung Ludwig s Xvl. — S chicksal der köni glichen
Familie.
(Ludwig Xvi. im Tempel. Mordscenen in Paris 2—7. Sept. 1792. Prinzessin Lamballe.
Nationalconvent. Robespierre, Danton, Marat u. s. w. Jakobiner, Cordeliers und
Girondisten. Prozeß Ludwigs. Hinrichtung des Königs 21. Jan. 1793, der Königin
18. Oct. 1793, der Prinzessin Elisabeth 10. Mai 1794. Schicksal des Dauphins; sein
Tod 8. Juni 1795.)
Wir kehren nach Europa zurück, um zu erzählen, was in Frankreich
geschah, nachdem der unglückliche Ludwig am 13. August 1792 in den Tem-
pel eingeschloffen war. Die Jakobiner frohlockten, daß ihr Plan gelungen
war; dabei wollten sie aber nicht stehen bleiben. Da sie der Zahl nach
schwach waren, so mußten sie, was ihnen an Menge abging, durch Kühn-
heit und Schrecken ersetzen. Am 2. September wurde der Generalmarsch ge-
schlagen und die Sturmglocken geläutet, und Danton, einer der kältesten
und mordsüchtigsten Jakobiner*), befahl, daß alle Thore geschlossen, alle
Straßenecken besetzt, und dann in den Häusern nach den Anhängern des
Königs (Aristokraten) gesucht werden sollte. Alle, nur einigermaßen als
Gegner der Revolution verdächtige Personen, namentlich einige hundert Prie-
ster, wurden in die Gefängnisse gesperrt, und ein Blutgericht über sie nie-
dergesetzt. Um die Verurtheilten recht geschwind hinrichten zu können, hatte
man eine Köpfmaschine, die Guillotine, erfunden, welche der Maschine glich,
mit welcher man Balken in die Erde zu rammen pflegt. An dem in der
Mitte befindlichen Klotze war ein scharfes Beil befestigt; der Körper des
Verurtheilten wurde, auf ein Bret gebunden, unten hingelegt; man ließ die
Schnur los, das Mordbeil fiel herab, und trennte augenblicklich den Kopf
vom Rumpfe. Allein in jenen ersten Tagen des Septembers ging auch diese
Maschine noch zu langsam zu Werke; man verfuhr kürzer. Nach jedem Ge-
fängnisse begab sich einer aus dem Bürgerrathe — einer derselben war der
berüchtigte Maillard — und setzte sich vor dem Ausgange desselben an einen
Tisch, auf dem man in wilder Unordnung Weinflaschen, Gläser, Tabacks-
pfeifen, Schreibmaterialien, Schwerter, Dolche u. A. erblickte. Um ihn
herum standen gedungene Mörder mit aufgestreisten Aermeln, weißen Schür-
zen, und einen Säbel oder eine Keule in der Faust. Dann ließ der Richter
einen Gefangenen nach dem andern herbeiführen, fragte ihn nach feinem
Namen, und wenn er in seiner Liste fand, daß Danton bei demselben das
Zeichen gemacht hatte, daß er sterben sollte, so rief er: „Laßt ihn los!"
*) Er gehörte zu denen, die in der Revolution das meiste Blut vergossen haben.
Mit der größten Gleichgültigkeit sprach er Todesurtheile aus. Von Religiositäl hatte er
keinen Begriff; ja er glaubte, daß mit dem Tode Alles aus sei; darum fürchtete er sich
vor keiner künftigen Vergeltung. Dennoch war er nicht der Schlechteste, und stand na-
mentlich über Marat und Robespierre. Denn er hatte doch eine empfindliche Seite des
Gemüths: er liebte seine alte Mutter und seine Frau über Alles, und hing mit Treue
an seinen alten Freunden. Als seine Frau sich über seine blutigen Verbrechen zu Tode
grämte, hätte er sich fast vor Kummer das Leben genommen.
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Kurfürstentümer Mainz, Trier und Cöln eingezogen wurden, daß der Her-
zog von Würtemberg, der Markgraf von Baden und der Landgraf von
Hessen-Cassel den Kurfürstentitel bekamen, und daß überhaupt die Gestalt
Deutschlands dadurch ganz verändert wurde.
Mit Kaiser Paul' vertrug sich der schlaue Bonaparte schneller, als mau
gedacht hatte. Kaum merkte der Consul, daß Paul mit den Verbündeten
unzufrieden sei, als er ihm schmeichelhafte Briefe schrieb, ihm die russischen
Gefangenen unentgeldlich zurücksandte, und andere Artigkeiten erwies, so daß
der schwache Paul ganz entzückt von der Großmuth des Consuls war. Ein
eigentlicher Frieden wurde zwar nicht geschlossen, aber sie blieben Freunde,
und dem Kaiser zum Gefallen vertrug sich Bonaparte auch mit dem
Könige von Neapel (28. Febr. 1801) wieder, wofür dieser aber die Insel
Elba, Piombino, und Kunstwerke abtreten, und Geld zahlen mußte.
Wenige Wochen nach dem Lüueviller Frieden erreichte Kaiser Paul sein
Lebensziel. Sein launenhaftes Betragen, seine Willkür, die Strenge, mit
welcher er die kleinste Uebertretung seiner Befehle bestrafte, und seine när-
rischen Verordnungen hatten ihn zugleich um die Liebe und um die Achtung
seiner Unterthanen gebracht. Besonders aufgebracht war der Hofadel, und
mehrere Große traten zu einer Verschwörung zusammen, um den Kaiser, bei
dem sich schon Spuren von Geistesverwirrung gezeigt hatten, auf die Seite
zu schaffen. Graf Pahlen und General Bennigsen leiteten das Complott.
Am späten Abend des 23. März begaben sich die Verschworenen (unter ihnen
die Gebrüder Subow, der General Ouwarow) nach einein bei Pahlen ge-
haltenen Banket in zwei Haufen in den Michaels-Palast. Der eine, von
Pahlen angeführt, bleibt als Reserve zurück; Bennigsen dringt bis zu den
Gemächern des Kaisers vor. Der Leibhusar, welcher die Thür des Schlaf-
zimmers vertheidigen will, wird niedergehauen, und ein herbeieilender Kammer-
diener gezwungen, dieselbe zu öffnen. Der Kaiser, welcher sich in das Zim-
mer der Kaiserin hätte retten können, wenn er nicht allabendlich aus Arg-
wohn die Thüre dahin verrammelt hätte, sucht sich hinter den Bettvorhängen
zu verbergen. Bennigsen entdeckt ihn, und fordert ihn auf, die Entsagungs-
acte zu unterzeichnen. Paul weigert sich. In diesem Augenblick macht ein
Geräusch,die meisten Verschworenen entfliehen. Bennigsen allein hält den
Kaiser mit der Degenspitze zurück. Die Andern kehrten bald wieder, und
umgaben den Kaiser von Neuem. In dem Tumult wird die Lampe umge-
worfen, Bennigsen läuft nach Licht, und als er zurückkommt, findet er Paul
unter den Streichen der Mörder. Der eine hatte ihm den Schädel mit dem
Degen eingeschlagen, ein anderer hatte ihm mit seiner Schärpe den Hals zu-
geschnürt. — Als sie dem Großfürsten Alexander (1801 —1826) den
Tod des Vaters meldeten, und ihn aufforderten, den erledigten Thron zu
besteigen, siel er aus einer Ohnmacht in die andere, und weigerte sich, die
blutige Krone anzunehmen; erst als man ihm vorstellte, daß er dies dem
Vaterlande schuldig sei, willigte er ein. Aber die Mörder seines Vaters zu
bestrafen, durfte er nicht wagen.
Kurz vorher hätte auch Bonaparte beinahe sein Leben verloren. Es
konnte nicht fehlen, daß er viele Feinde hatte, die ihn als einen zweiten Crom-
wel betrachteten. Einige derselben — welche, ist nicht auszumitteln gewesen —
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Capets — so hatte man den König zuletzt genannt — beschäftige; denn
dies Weib sei die Schande ihres Geschlechts, ja der Menschheit. Am 2. August
1793 wurde sie in der Nacht um 2 Uhr unvermuthet geweckt, um sie nach
der Conciergerie, einem scheuslichen, nur für gemeine Verbrecher bestimmten
Gefängnisse zu bringen. Mit Standhaftigkeit fügte sie sich in die schwere Tren-
nung von ihrer Tochter, und empfahl sie der Prinzessin Elisabeth. Als sie
durch die niedrige Thüre ging, stieß sie sich an den Kopf. Man fragte sie,
ob sie sich wehe gethan hätte? „O nein!" antwortete sie; „jetzt kann mir nichts
in der Welt mehr wehe thun." Ihr neues Gefängniß war nur vier Schritte
lang und breit, feucht und dumpf; Tag und Nacht wurde sie hier von Gens-
darmen bewacht, und jede Beschäftigung, selbst das Stricken, ihr untersagt.
Auf den König hatte man doch noch einige Rücksicht genommen; sie aber
wurde ausgesucht schändlich, und ganz als gemeine Verbrecherin behandelt.
Am 15. October wurde sie vor das Revolutionsgericht gestellt, und den ganzen
Tag und die folgende Nacht ohne Unterbrechung verhört, und ob ihr gleich
keine Nahrung und Stärkung gereicht wurde — sie bat dreimal vergebens
um ein einziges Glas Wasser — so gab sie doch die besonnensten und be-
stimmtesten Antworten. Erst als sie in das Gefängniß zurückkam, weinte sie
bitterlich, und schrieb einen Abschiedsbrief au ihre im Tempel zurückgebliebene
Schwägerin Elisabeth. „Denke immer an mich," hieß es darin unter Anderm,
„ich umarme Dich und meine lieben, meine armen-Kinder! Gott! wie schmerzt
es, sie für immer verlassen zu müssen!"
Am 16. October 1793 um 11 Uhr wurde ihr angekündigt, daß sie
zum Tode geführt werden sollte. Sie hatte nicht einmal so viel, um sich
zu ihrem letzten Gange anständig kleiden zu können; denn sie trug ein weißes
Nachtcamisol, dessen Ellenbogen zerrissen war, und eine Nachthaube. Sonst
war sie eine schöne, höchst anziehende Frau; aber der Kummer hatte sie schnell
alt gemacht; ihr Kopf war mit weißen Haaren bedeckt, ihre Züge wie die
einer sechzigjährigen Frau, obgleich sie erst 37 Jahre zählte. Alle Spuren
der srühern Schönheit waren verwischt. Man band ihr die Hände auf
den Rücken, und setzte sie auf den Karren, auf welchem täglich die andern
Verurtheilten zur Guillotine geschleppt wurden. Nebenher lief der roheste
Pöbel, der sie verhöhnte, und laut schrie: „Nieder mit der Tyrannei! Hoch
lebe die Republik!" Gleichgültig sah sie auf das Alles herab, und als sie
nun auf dem Richtplatze ankam — es war derselbe, wo Ludwig geblutet hatte —
wandten sich ihre Blicke mit sichtbarer Rührung nach den Tuilerien hin.
Rasch stieg sie die Stufen des Gerüstes hinan, und eine flüchtige Röthe über-
zog ihr bleiches Gesicht, als der Henker ihr, der Königin und Kaiserstochter,
die Haube abriß, ihr die ergrauten Haare abschnitt und mit Füßen trat. Als
ihr Kopf fiel und der Henker ihn dem Volke zeigte, jubelte das gefühllose
Volk: „Hoch lebe die Republik!"
Zunächst traf nun die Reihe die fromme Prinzessin Elisabeth, Lud-
wigs Xvi. Schwester. Sie bewohnte bis zum 9. Mai 1794 mit ihrer
Nichte dasselbe Zimmer im Tempel. An diesem Tage wurde sie spät Abends
nach der Conciergerie abgeholt, hier verhört, und zum Tode verurtheilt. „Ich
bin zum Tode bereit," sprach sie zu ihren Richtern, „und freue mich, meine
ehrwürdigen Eltern, die ich auf Erden so zärtlich geliebt habe, bald im Himmel
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der ganzen Reiterei waren nur noch 800 ausgehungerte Pferde übrig, meist
Offizieren gehörig, die nun mein Corps vereinigt wurden. Mehrmals war
das Heer, noch öfter waren einzelne Corps von den Russen umringt und
abgeschnitten, und wurden nur durch List oder durch die große Tapferkeit derer,
die noch unter den Waffen waren, gerettet. Die gräßlichsten Scenen, die
sich auf diesem trostlosen Rückzuge ereigneten, kamen in solcher Menge vor,
daß nur wenige von der Geschichte aufbewahrt, aber keine in ihrer ganzen
Schauderhaftigkeit beschrieben werden können. Hier nur Einiges davon. Mar-
schall Reh mußte, um sich vor den verfolgenden Russen zu retten, in einer
dunkeln Nacht über einen Fluß setzen, dessen Eisrinde glücklicher Weise trug.
Alle Wagen, alles Gepäck mußte am User stehen bleiben, und als die Mei-
sten hinübergegangen waren, fehlte es vielen an Kraft, am andern steilen und
beeisten Ufer hinanzuklimmen, so daß sie zurückstürzten, das Eis zerborst,
und sie ohne Rettung in das Wasser hinabsanken. Noch kläglicher war das
Geschrei der armen Kranken, die auf den Wagen lagen, die Hände aus-
streckten, und flehten, sie doch nicht hülflos zu verlassen. Ney ersuchte einige
Wagen über den Fluß gehen zu lassen; als sie aber mitten darauf waren,
brach das Eis zusammen. Von dem Ufer hörte man aus dem geöffneten
Schlunde ein herzzerreißendes, wiederholtes Angstgeschrei, dann ein unter-
brochenes Stöhnen, immer schwächer werdende Seufzer, und endlich eine
gräßliche Stille. Alles war im Wasserschlunde verschwunden.
In den Dnieper ergießt sich auf dessen rechter Seite ein Fluß, die
Berezina. An sich ist er nicht bedeutend; aber er bildet auf beiden Seiten
breite und tiefe Moräste, die man nur auf einzelnen Brücken überschreiten
kann. Wurden diese von den Russen zerstört, oder nur stark besetzt, so war
der ganze Ueberrest des französischen Heeres verloren. Wirklich hatten die
Russen die Absicht, hier dem ganzen Trauerspiel ein Ende zu machen. Wäh-
rend Kutusow und der Kosackenhetmann Platos von hinten drängten,
rückten Tschitschagof von Süden, und Wittgenstein von Norden schnell
heran, an der Berezina zusammenzutreffen, und Napoleon den Uebergang zu
wehren. Als dieser am Flusse ankam, sah er zu seinem Entsetzen, daß der
Uebergangspunkt von den Russen bereits besetzt sei. Mit Gewalt war hier
nichts auszurichten; aber er nahm zur List seine Zuflucht. Er stellte sich,
als wollte er eine Brücke schlagen lassen, während er an einer andern Stelle,
die nur wenig bewacht wurde, in größter Stille wirklich eine solche zimmern
ließ. Die ganze Nacht wurde gearbeitet; aber auch jetzt noch hätten einige
russische Kanonen hingereicht, den Bau zu zerstören. Dies erwartete auch
Napoleon, und hielt sich selbst für verloren. Allein Tschitschagof bildete sich
ein, Napoleon werde weiter unterhalb übergehen, ließ seine Truppen ab-
ziehen, und — Napoleon war gerettet. Das war freilich für diesen ein
großes Glück; aber die Brücke war nur für das Fußvolk eingerichtet; schnell
ließ er noch eine zweite für das Geschütz, die Wagen und die wenigen Reiter
bauen, und am 27. November gingen er und seine Garden über.
Bis so weit ging Alles gut, aber nun kam das Schreckliche. Sobald
man die Garden übergehen sah, drängten sich alle Uebrige von allen Seiten
herbei, sich an sie anzuschließen, so daß in einem Augenblicke eine tiefe, breite
und verwirrte Masse von Menschen, Pferden und Wagen den schmalen Ein-
1859 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Kurts, Friedrich, Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
105
will ich meinen Geist aufgeben." Auch ließ er sich nicht die Augen verbinden,
und commandirte selbst: „Gebt Feuer!" Kaiser Franz hat nachmals sowohl
seine Familie, als den braven Speckbacher, der nur durch seine Geistesgegen-
wart entkam, im Oestreichischen versorgt.*)
So war also abermals so vieles Menschenblut vergebens geflossen, um
Europa von den Anmaßungen Napoleons zu befreien, und wohl konnte man
es den Gutgesinnten nicht verargen, wenn sie an der Hoffnung verzweifelten,
bessere Zeiten zu erleben. Aber so pflegt es die göttliche Vorsehung zu
machen: will sie die Menschen in einen glücklichern Zustand führen, so läßt
sie es erst recht arg werden, damit sie das Glück der bürgerlichen Ruhe er-
kennen, sich mit vollem Vertrauen an Gott halten, und die schlummernden
Kräfte Hervorrufen und üben. Dann kommt sie mit ihrer Hülfe, ehe wir es
denken, wenn es die rechte Zeit dazu ist; vorher aber scheitern alle mensch-
liche Entwürfe. Gerade so war es auch bei der Reformation; Wickliffe's,
Huß's und anderer wackern Männer Bemühungen scheiterten, bis es Luther,
Melanchthon, Zwingli und Calvin gelang, weil es da der Wille der Vor-
sehung war.
120. Schweden.
(Gustav Iv. Adolph von Schweden 1792—1809. Krieg gegen Frankreich, Rußland und
Dänemark. Gefangennehmung des Königs 13. März 1809. Karl Xiii. 1809—1818.
Frieden in Friedrichsham 17. Sept. 1809. Thronfolger von Schweden Prinz von Hol-
stein-Sonderburg-Augustenburg, dann Bernadotte Fürst von Pontecorvo. Karl Johann
1818. Oskar 1844.)
Nachdem Gustav Iii., König von Schweden, 1792 von Ankerström er-
mordet worden war, bestieg sein Sohn Gustav Iv. Adolph den Thron,
ein Mann, der alle Fehler Karls Xii. hatte, ohne dessen Beharrlichkeit und
Kraft zu besitzen. Aber eigenwillig, durchgreifend, herrisch und für seine An-
*) Speckbacher, der auch geächtet war, irrte lange von Berg zu Berg umher; einmal
blieb er vier Tage lang ohne Speise. Als er glaubte, daß man ihn weniger eifrig fnche,
begab er sich eines Tages zu seiner Frau, die sich in einer abgelegenen Hütte unerkannt
bei guten Freunden aufhielt. Aber kaum saß er hier einen Augenblick, so rief das Kind
des Hauses hinein: „Es kommen Baiern!" Eben will er aus der Hinterthüre entsprin-
gen, als er schon das Geräusch von Flintenkolben hört, welche die Soldaten vor der
Thüre auf die Erde setzen. Er fliegt nach der Vorderthüre; aber hier sieht er eben sieben
Mann von dem Berge herab ihm entgegenkvmmen. Doch die Geistesgegenwart verläßt
ihn nicht. Er ergreift einen kleinen Schlitten, der an der Schwelle liegt, wirft ihn, als
wäre er ein Knecht des Hauses, auf die Schultern, und geht damit den Soldaten, als
wolle er Holz aus dem Walde holen, getrost entgegen. Die Baiern rufen ihm zu, ihnen
aus dem Wege zu gehen; er aber erwiederte ihnen keck, das sei ihre Pflicht; er habe noch
drei Lasten Holz nach Hause zu fahren, und so entkommt dr in den Wald. — Nachmals
lebte er in einer Höhle, ganz mit Schnee bedeckt, unter den größten Entbehrungen. Hier
verrenkte er sich'einst die Hüfte; mit Mühe kroch er nach seiner Wohnung, wo ihm der
treue Knecht unter den Dielen des Stalles ein Lager bereitete, in welchem er, mit Mist
und Stroh bedeckt, kaum athmen konnte. Hier lag er fast sieben Wochen verscharrt; nur
der Knecht kannte seinen Aufenthalt, und speiste ihn täglich. Oft gingen Baiern, ihn
suchend, über ihn hinweg. Als seine Frau nun hörte, wo er so lange gewesen, weinte
sie überlaut. Nachdem er sich etwas erholt hatte, floh er über die Gebirge, ohne Rast,
weil ihn die Kälte nicht lange ruhen ließ, bis er endlich Oestreich erreichte.
1859 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Kurts, Friedrich, Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule, Selbstunterricht
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- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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des Schlosses warteten, und fanden vor dem Thore den Reisewagen, den
Fersen selbst hinausgesahren hatte. Ein zweiter, mit den Kammerfrauen,
folgte nach. Ludwig hielt sich für so sicher, daß er recht heiter war, öfters
unterwegs aus dem Wagen stieg, und sich mit diesem und jenem unterhielt.
Indessen war das schon ein übler Umstand, daß eine am zweiten Wagen
nöthige Ausbesserung sie am ersten Tage um zwei Stunden aufhielt; denn da-
durch wurden die ausgestellten Truppen, deren Erscheinung schon unter dem
Volke Verdacht erregt hatte, irre, und entfernten sich zum Theil wieder von
ihren Posten. Am Abend des 22. kam der König nach St. Menehould
(spr. St. Menu). Hier war das Volk mißtrauisch geworden durch die Er-
scheinung der Soldaten, und als die Wagen wieder abfahren wollten, wider-
setzte es sich dem Abmarsche der die Wagen begleitenden Dragoner. Ludwig
legte sich aus dem Wagen heraus, um den Streit zu beschwichtigen, und wurde
dabei von dem Postmeister Drouet, einem wilden Republikaner, nack> der
Aehnlichkeit mit seinem Brustbilde auf den Assignaten erkannt. Zwar fuhren
die Wagen endlich ab, aber schnell warf sich Drouet aus ein Pferd, und jagte
der königlichen Familie vor bis nach der nächsten Station, Varennes.
Hier machte er Lärm, rief die Nationalgarde in die Waffen, und stürzte einen
Wagen auf der Brücke um, damit die Abfahrt des Königs aufgehalten würde.
Die Gardes du Corps stiegen ab, um das Hinderniß auf die Seite zu schaf-
fen; da trat Drouet an den Wagen, verlangte, daß die Abfahrt aufgeschoben
würde, und als jene Gewalt gebrauchen wollten, verbot der gute, aber
schwache Ludwig jede Gegenwehr. Der Lärm und der Zusammenlauf wurde
immer größer. Drouet drang darauf, daß die Reisenden ausstiegen, damit
man die Pässe genauer untersuchte. Er führte sie in das Haus des Licht-
ziehers Sauste, des Gemeindevorstehers. Ludwig leugnete anfangs, daß er
der König sei. Da man aber darauf bestand, rief er endlich aus: „Ja, es
ist in der That euer König und Vater, der in seinen Provinzen einen Zu-
siuchtsort suchen muß. Die Beleidigungen, die ich und meine Familie in
Paris erduldet haben, und die Unmöglichkeit, in welche man mich versetzt hat,
meinem Volke Gutes zu thun, haben mich gezwungen, Paris zu verlassen.
Sie wünschen meine Befehle zu vernehmen? So eilen Sie, meine Herren,
daß man meine Wagen anspanne, damit ich meine Reise nach Montmedy fort-
setzen kann." Sauste wurde durch die Worte des Königs gerührt und die
Königin ließ sich herab, die Frau desselben flehentlich zu bitten, Alles bei
ihrem Manne anzuwenden, daß ihnen die Abreise gestattet würde. Schon
wollte auch Sauste darein willigen; aber Drouet hatte indessen das Volk auf-
gewiegelt, und dies widersetzte sich entschieden der Abfahrt. Zwar stellte sich
die zur Begleitung bestimmte Reiterschaar vor dem Hause auf, und der Ofsi-
zier wollte den König mit Gewalt befreien; aber die Reiter selbst gehorchten
ihm nicht, und als die Nachricht kam, daß Bouillä selbst mit einem treuen
Regimente heranrückte, befahl der König, damit ja kein Bürgerblut vergossen
würde, ausdrücklich, daß er sich sogleich zurückziehen solle. So viele Ehre
auch diese Gesinnung dem Herzen des Königs macht, so ist gerade dadurch,
daß er zu ängstlich sich scheute, seine ihm rechtmäßig verliehene Gewalt gegen
die Widerspenstigen zu gebrauchen, späterhin eine Zeit herbeigesührt worden,
wo das Bürgerblut in Strömen vergossen wurde. Nachdem man sich einige